© Josef Schwarzkopf - Amrum - Meine Insel
Amrum - Meine Insel
von A bis Z
Ebbe und Flut
Kaum anderswo sind die Auswirkungen von Ebbe und Flut so eindrucksvoll wie an der
Nordseeküste. Durch das Ablaufen des Wassers (= Ebbe) wird eine phantastische Welt von
Kleintieren freigelegt, das Wattenmeer oder nur Watt. Kein Wunder, dass das Wattenmeer
zum Weltkulturerbe gehört. Bei Amrum gibt es noch eine Besonderheit: Bei Ebbe kann man
bei optimalem Wetter von Amrum nach Föhr laufen, 6 Stunden später nicht mehr…
In den Jahren auf Amrum habe ich mich immer wieder für das Phänomen Ebbe und Flut
interessiert: Wo kommt das Wasser her, wo geht es hin? Warum sind die Zeiten für Niedrig-
und Hochwasser täglich verschieden? Warum unterscheiden sich diese von Ort zu Ort?
Warum hat die Nordsee Ebbe und Flut, die Ostsee nicht? Es ist bestimmt nicht nur der
Ostfriese, der das Wasser verscheucht hat, und nun das Wasser zweimal täglich schaut, ob
der Ostfriese noch da ist. Ich versuche hier mal ausführlicher der Sache auf den
(Meeres-)Grund zu gehen.
Begrifflichkeiten
Häufig wird Ebbe mit Niedrigwasser und Flut mit Hochwasser gleichgesetzt. Das ist nicht
richtig. Hier ein paar Begrifflichkeiten:
Niedrigwasser = der Punkt, an dem das Wasser am niedrigsten ist (klingt logisch)
Hochwasser = der Punkt, an dem das Wasser am höchsten ist (klingt auch logisch)
Ebbe = ablaufendes Wasser, folglich die Zeit zwischen Hoch- und Niedrigwasser
Flut = auflaufendes Wasser, folglich die Zeit zwischen Niedrig- und Hochwasser
Gezeiten = Ebbe und Flut, also das ganze Hin und Her
Tide = Gezeiten = Ebbe und Flut
Tidenhub = Höhendifferenz zwischen Niedrig- und Hochwasser, also um wie viel Meter das
Wasser steigt oder fällt
Springflut = das Hochwasser fällt höher aus, das Niedrigwasser meist niedriger
Neptide = das Hochwasser fällt schwächer aus, das Niedrigwasser auch
Sturmflut = die Flut kommt mit einem Sturm zusammen, dadurch kommt das Hochwasser
noch höher
So, das soll erst einmal an Begriffen reichen. Die genauen Erklärungen erschließen sich
später.
Ebbe und Flut an Nordsee (und Ostsee)
Nun, wir wissen, dass der Mond irgendetwas mit Ebbe und Flut zu tun hat. Der Mond hat
folglich Einfluss auf das Meer. Nord- und Ostsee sind allerdings viel zu klein, um direkt vom
Mond beeinflusst bzw. angezogen zu werden. Erst durch den Zugang zu den Weltmeeren
(Atlantik) wird die Nordsee in Hinblick auf die Gezeiten interessant. Die Ostsee hat kaum
Zugang zum Weltmeer, wird daher von Ebbe und Flut unmerklich beeinflusst. Es sind also
sogenannte Flut- oder besser Gezeitenwellen, die durch den Ärmelkanal oder nördlich von
Großbritannien in die Nordsee schwappen und diese regelrecht “aufwühlen”…
Woher kommt eine Flutwelle? Wie entsteht Ebbe und Flut?
Eine Gezeitenwelle wird durch die Wasseranrhebung (= Flutberg) der Weltmeere ausgelöst.
Es gibt auf der Erde zwei Flutberge, einen auf der Mond zugewandten und einen auf der
Mond abgewandten Seite.
Dass der Mond einen Einfluss auf Ebbe und Flut hatte man schon lange vor Christus
heraus gefunden. Immer wenn Flut war, war auch der Mond da, und das Wasser ging auch
mit dem Mond.
Der Flutberg auf der Mond zugewandten Seite entsteht durch die Anziehungskraft des
Mondes. Nun, auch wenn wir an manchen Orten einen Tidenhub von über 10 Metern
messen, ist der (eigentliche) Flutberg in der Regel gerade Mal einen halben Meter hoch,
oder anders gesagt: Das Wasser wird nur ca. 0,5 m angehoben. Wie es zu den größeren
Höhenunterschiede an den Küsten kommt wird später erklärt.
Zurück zur Entstehung der Gezeiten, von Ebbe und Flut: Auf der Mond abgewandten Seite
gibt es einen weiteren Flutberg. Dieser entsteht durch Fliehkraft. Diese Fliehkraft entsteht
nicht durch die Rotation der Erde um sich selbst, wie häufig erklärt wird. Die Erdrotation
(um sich selbst) würde ja eine Fliehkraft rund um den Äquator erzeugen und nicht nur auf
einer (der Mond abgewandten) Seite. Diese Fliehkraft rund um den Äquator gibt es zwar,
hat aber nichts mit Ebbe und Flut zu tun. Nun, woher kommt die Fliehkraft auf der Mond
abgewandten Seite? Der Mond kreist nicht nur um die Erde, sondern Erde und Mond
kreisen um einen gemeinsamen Schwerpunkt, das sogenannte Baryzentrum. Das
Baryzentrum liegt innerhalb der Erde, ungefähr auf halber Strecke zwischen Erdmittelpunkt
und Erdkruste. Erde und Mond eiern also um sich selbst. Dadurch ist die Mond abgewandte
Seite der Erde auf der äußeren Kreisbahn des Systems Mond-Erde. Und hier wirkt die
Fliehkraft des Systems Erde und Mond. Nun sind sie also vorhanden, die beiden
gegegenüberliegenden Flutberge. Und sie bleiben auch da, einer auf der Mond
zugewandten Seite und einer auf der Mond abgewandten Seite.
Die Erde dreht sich in 24 Stunden um sich selbst. Und die Flutberge sind stets nach dem
Mond ausgerichtet. Folglich dreht sich die Erde unter den beiden Flutbergen hinweg. In 24
Stunden erfährt der Atlantik zwei Flutberge. In 24 Stunden habe wir zweimal Hochwasser
und zweimal Niedrigwasser. 6 Stunden kommt das Wasser (= Flut), 6 Stunden geht das
Wasser (= Ebbe), 6 Stunden kommt das Wasser, 6 Stunden geht das Wasser, Tag für Tag.
Diese soeben beschriebene Intervalle setzen allerdings voraus, dass der Mond sich nicht
bewegt, sondern dass sich nur die Erde um sich selbst dreht. Doch der Mond kreist in 28
Tagen um die Erde. Oder - wie wir weiter oben erfahren haben - Erde und Mond kreisen um
einen gemeinsamen Drehpunkt, und das halt in 28 Tagen. Das heißt: Unsere beiden
Flutwellen bewegen sich (mondabhängig) in 28 Tagen um die Erde. Folglich verschiebt sich
Ebbe und Flut täglich um einen 28-tel Tag nach hinten, und das sind etwa 53 Minuten.
Würde man am Montag 18.00 Uhr Hochwasser haben, wäre das Hochwasser am Dienstag
etwa eine Stunde später.
Entscheidend für die genaue Berechnung der Gezeiten für einen bestimmten Ort ist auch
die exakte Stellung des Mondes zur Erde. Da diese sich durch die geneigte Erdachse sich
dauern ändert, Tag für Tag und sogar Jahr für Jahr, sind die Uhrzeiten an keinem Tag
dieselben. Erdbahn und Mondbahn sind also ausschlaggebend für die Berechnung von
Ebbe und Flut.
Noch etwas zum Niedrigwasser: Das Wasser der Flutberge muss ja irgendwo herkommen,
daher ist das Niedrigwasser niedriger als der normale Meeresspiegel. Es entstehen also
“Ebbetäler”.
Die Springflut
Wenn Mond und Sonne auf gleicher Linie stehen - das ist bei Vollmond und Neumond der
Fall -, wird die Anziehungskraft des Mondes durch die der Sonne verstärkt, es gibt eine
Springflut; das Hochwasser fällt höher aus. Da bei einer Springflut mehr Wasser hin- und
herbewegt wird, fällt auch das Niedrigwasser niedriger aus.
Stehen Sonne und Mond im rechten Winkel zueinander (= Halbmond), so heben sich die
Anziehungskräfte gegenseitig etwas auf, Hoch- und Niedrigwasser sind geschwächt;
Hochwasser nicht so hoch, Niedrigwasser nicht so niedrig (= Neptide).
Ebbe und Flut an den Küsten der Ozeane
Der Flutberg, der quasi als Flutwelle über die Erde läuft, stößt zwangsläufig irgendwann auf
Land. Hier prallt die Flutwelle ab und stößt mit der folgenden Flutwelle zusammen. So
wächst die einst kleine Flutwelle zu einer großen Flutwelle. Den größten Tidenhub erfahren
wir bei der Fundy Bay zwischen den kanadischen Provinzen Nova Scotia und New
Brunswick am Golf von Maine mit einer Länge von 220 Kilometer und einer Breite von 60
Kilometer. Die Bay of Fundy ist so lang, dass die vorangegangene Flutwelle vor der Bucht
mit der nachfolgenden Flutwelle zusammen trifft. Bei Normalhochwasser beträgt der
Tidenhub 13 m, 16 m bei Springtide.
Die Nordsee, ein Becken voller Unberechenbarkeiten
Zurück zur Nordsee: Die durch den Flutberg ausgelösten Flutwellen erreichen etwa 2 Tage
später die Nordseeküste. Somit sind die Auswirkungen des Mondes und der Sonne etwa 2
Tage später zu spüren. Springflut 2 Tage nach Voll- oder Neumond, Neptode 2 Tage nach
Halbmond. Hinzu kommt, dass die Flutwellen in der Nordsee auf zahlreichen Unebenheiten
stoßen. Ferner treffen die Flutwellen teilweise auf andere Flutwellen. Das Wasser der
Nordsee schwappt regelrecht in die Nordsee. Untiefen und Strömungsverläufe müssen bei
der örtlichen Gezeitenberechnung berücksichtigt werden. In Norddorf kommt das
Hochwasser später als in Wittdün, da ja die Flutwelle die nordfriesische Küste herauf läuft.
Außerdem sind die Zeiten nicht immer regelmäßig, nach dem Motto “Morgen ist alles 53
Minuten später”.
Hier eine Gezeitentabelle
Quelle: http://www.bsh.de
Die Gezeitentabelle - hier vom Hafen Wittdün - zeigt an, an welchem Tag um welche
Uhrzeit Hochwasser (HW) oder Niedrigwasser (NW). Außerdem wird hier angegeben, wie
hoch das Hochwasser ausfallen wird oder halt wie niedrig das Niedrigwasser.
Die aktuelle Gezeiten-Tabelle vom
Hafen Wittdün könnt Ihr hier aufrufen: