Der denkende Vogel...

 

HomeGedichteKurzgeschichtenVeröffentlichungen


Der denkende Vogel
und der philosophierende Bär

von Josef Schwarzkopf
Urfassung: 22.03.1999
kleine redaktionelle Veränderungen 25.8.2008


Es war einmal, da saß in einem Wald unter einem großen Baum ein wunderschöner kleiner schwarzer Vogel. Er saß da nur. Nicht, dass er nicht fliegen konnte, nicht, dass ihn irgend etwas daran hindern konnte, seine prächtige Flügel auszubreiten und abzuheben; nein das war es nicht, und doch saß er da und tat nichts.

Da schleppte sich ein dicker brauner Bär heran. Natürlich fressen Bären keine Vögel; wie auch, Vögel sind ja keine bodenständige Tiere. Aber nun? Da musste der Bär doch davon träumen, diesen Spatz mir nichts dir nichts zu vernaschen. Der Vogel tat nichts. Er hatte noch nicht einmal Angst vor diesem aus seiner Sicht erscheinenden Ungetüm.

„Was machst du denn da?“ wollte der Bär wissen und stupste den Vogel mit seinem riesigen Riecher an.

„Ich denke!“ erwiderte der Vogel.

„Er denkt, er sitzt da und denkt“, machte sich der Bär lustig. „Bei dir piept ´s wohl!“

„Ich denke nach!“ wiederholte der Vogel und sah geradezu provozierend zu dem Bär herauf. Ja, er müsse nachdenken.

Ob er nicht fliegen könne.

Natürlich konnte er fliegen, und wie er fliegen konnte, schließlich sei er ja ein Vogel, und Vögel - so der Vogel - könnten bekanntlich fliegen.

„Du hast einen Vogel!“ urteilte der Bär.

„Ich bin ein Vogel“, kam es von dem Kleinen.

Der Bär ärgerte sich. Was sollte er nun tun? Schließlich war es doch ein leichtes, sich über den Vogel herzumachen. Aber das verbot ihm sein Stolz. Abgesehen davon, ist er mit den Jahren doch ziemlich faul geworden und stellte sich etwas dümmlich an, ein Tier zu jagen. Außerdem würde ein Vogel, der sich bereits als gefundenes Fressen präsentierte, eh nicht munden, satt machen schon einmal gar nicht. Und ein denkender Vogel wäre sicherlich Verschwendung.

„Was denkst du?“ fragte er.

„Das Gefühl ist weg!“ sagte der Vogel. Da der Bär ein wenig verwirrt hereinschaute, fuhr der Vogel fort: „Es macht keinen Spaß mehr. Du hebst ab, du schaust dir alles an, du siehst bekannte Waldbewohner, und dann... Was dann...?“

„Denken?“ tippte der Bär.

„Da muss doch noch was sein, außer fliegen und denken!“ vermutete der Vogel und sah seinen Gegenüber fragend an.

Der Bär brummte: „Essen vermutlich!“

„Außer fliegen, denken und essen!“

Der Bär legte sich zur Seite, sah den armen Denker an und fragte sich: „Was zum Teufel kann es noch anderes geben außer fliegen, denken und essen? Was kann es anderes geben außer fliegen, denken und essen? Fliegen... denken... essen...“ Und er schlief ein.

Daneben saß der Vogel und dachte.



© Text: Josef Schwarzkopf (Homepage: www.behinderte-leidenschaft.de)