Ein völlig verkorkstes Wochenende

 

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Ein völlig
verkorkstes Wochenende

von Josef Schwarzkopf
Urfassung 2004 (als "Nackt im Fahrstuhl")
letzte redaktionelle Veränderungen 26.8.2008


Es schien ein völlig verkorkstes Wochenende zu werden, alle Anzeichen sprachen dafür. Gut, ich hatte mich seinerzeit verbindlich angemeldet, zu dieser Freizeit mit dem Förderverein des Hauses „St. Agnes“, einem Wohnheim für behinderte Menschen. Ein guter Freund von mir, auch ein Bewohner des Hauses, hatte mich überredet; die vergangenen Fahrten seien ja so toll gewesen. Nun sah ich also einem nichts versprechenden Wochenende entgegen, ein Wochenende mit 15 Behinderten – darunter auch meine Wenigkeit -, und 10 Eltern bzw. Betreuer. Glücklicherweise hatte sich meine Mutter, die auch diesem Verein angehörte, nicht angemeldet. Dennoch, je näher dieses besagte Wochenende kam, desto größer wuchs in mir der Wunsch, ein tolles Wochenende zu Hause zu verbringen. Nun, ich hatte es Dieter versprochen, und ich hatte mich – wie gesagt – verbindlich anmelden müssen. Freitags hatte ich Urlaub, da es mittags mit mehreren Kleinbussen losgehen sollte, losgehen gen Sauerland, irgendwo bei Winterberg. An diesem Freitagmorgen bekam ich zwei Anrufe, die mir die Freude auf diese Fahrt noch mehr nahm: Silvia rief an, eine frühere Schulfreundin, die ich seit etwa drei Jahren nicht mehr gesehen hatte, und die ausgerechnet an diesem Wochenende bei mir von Samstag auf Sonntag übernachten; man könne ja am Samstag in die Sauna gehen, das böte sich ja bei dem winterlichen Temperaturen so an... Nichts hätte ich lieber getan als dieses Angebot anzunehmen, aber da war ja dieses Wochenende. Der zweite Anruf konnte den ersten damit toppen, dass meine Mutter nun doch noch mitfuhr, da eine andere Betreuerin kurzfristig ausgefallen war. Wie gesagt, ein völlig verkorkstes Wochenende... dachte ich...

Viele Eltern kannte ich durch meine wenigen Besuche der Vereinssitzungen. Ansonsten hatte ich mich, nachdem ich mich zu sehr über das Behindertengetue der Eltern aufgeregt hatte, vom Vereinsleben weitgehend zurückgezogen. Und nun war ich halt wieder dabei, während Silvia mit mir das Wochenende verleben wollte. Von den Betreuern kannte ich keinen, vielleicht vom sehen her, weil ich Dieter mal im Wohnheim besuchte. Swenja war die Neue, vermutlich etwas jünger als ich, sie arbeitete erst 3 Wochen dort.

„Du musst dich gut beim Einsteigen festhalten“, riet sie, als ich den Bus bestiegt.

„Ich weiß!“ erwiderte ich wütend über dieses Bevormunden. Als ob ich noch nie in einem Bus eingestiegen wäre. Als ob ich zu doof dafür wäre; zu behindert. Sie hatte verloren, sie hatte mich an einem Punkt erwischt, an dem ich sehr empfindlich bin, und das war diese typische Fürsorge von Sozialpädagogen gegenüber uns Behinderten.

Dieter meinte später, Swenja sei sehr nett, und außerdem sehe sie echt scharf aus. Okay, sie war nicht hässlich, aber sie war Pädagogin, und dann noch eine von der Sorte, die anscheinend das ganze Wissen für den vernünftigen Umgang mit uns Behinderten gefressen hatte. Schublade auf, sie rein, und zu!

Unsere Unterkunft war ein luxuriöses 4-Sterne-Hotel, eigentlich unbezahlbar, aber man war dem Verein entgegen gekommen, da das Haus in den Monaten Februar bis Mitte April eh fast leer steht. Es war ein Hotel, das einer größeren Krankenkasse gehörte, die hier sommertags auch „Wohlfühlfreizeiten“ für ihre Mitglieder anbot. Jedes Zimmer hatte Bad und WC, einen Fernseher mit Kabelanschluss, und es war sehr stilvoll eingerichtet. Während schon einige Behinderte sich das Zimmer mit den Familienangehörigen teilten, hatte ich glücklicherweise ein Einzelzimmer. Das hätte mir auch noch gefehlt, dass ich ein Doppelzimmer mit meiner Mutter hätte beziehen müssen...

Nachmittags, nachdem man und auch frau sich in ihren Zimmern frisch gemacht hatte, traf man sich im Gemeinschaftsraum im Keller, um sich näher kennen zu lernen. Dazu hatte die Leiterin des Wohnheims, Frau Steiger, ein nettes Spiel vorbereitet, das nicht wirklich nett war, aber die meisten (darunter auch meine Mutter) fanden es offenbar amüsant. Carmen gefiel mir, sie saß im Rollstuhl und machte eher den Eindruck, dass sie das Spiel nicht mochte, es aber erduldete. Sie hatte eine sehr weibliche Figur. Manchmal kreuzten unsere Blicke und sie lächelte. Widerlich hingegen fand ich Swenja, die sich einfach albern gab, dann aber einige Schwerbehinderte umschwärmte.

Ich dachte an Silvia. Ich, der ich mal wieder zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war. Und Dieter sah mir das an, sah, dass ich nicht zufrieden war, dass ich mich langweilte. Er war es, der mich überredete, aber er konnte ja nicht ahnen, dass sich Silvia ausgerechnet an diesem Wochenende meldete, und dass meine Mutter kurzfristig noch mitfuhr. Und ich fühlte mich nicht wohl dabei, mit Mutter hier unter einem Dach zu leben, fühlte mich beobachtet, kontrolliert. Und dann hatte sie noch das Zimmer neben meines, aber das war das geringere Übel.

Irgendwann sah ich mich in diesem Kennenlernspiel Swenja gegenüber. Sie sah mich an, lächelte, doch ich schaute an sie herunter, auf ihre Brüste, was ich eigentlich von mir bisher kaum kannte. Ich mochte ihr Gesicht nicht, obwohl es keineswegs hässlich war, doch sie hatte mich enttäuscht. Aber jetzt lächelte sie mich an, als ich mich wieder auf ihr Gesicht fixierte. „Du bist also der Jan.“

Ja, sie meinte es nicht böse, doch mich regte diese scharfsinnige Überheblichkeit auf. Vielleicht war es auch Silvia, die ich nicht vergaß, mit der ich an diesem Wochenende viel lieber zusammen gewesen wäre.

Gegen halb sieben traf man sich wieder im Speisesaal. Dieter und ich waren ziemlich früh unten, da wir unserer Meinung nach den größten Hunger hatten. Wir saßen uns gegenüber an einem Tisch und sprachen über den verkorksten Beginn eines verkorksten Wochenende.

„Es tut mir leid“, sagte er.

„Du konntest ja nicht ahnen, dass es so schlimm würde“, entgegnete ich. „Aber dir ist schon bewusst, dass Silvia morgen bei mir übernachtet hätte, wenn ich nicht auf dieser dusseligen Freizeit wäre? Wir wären in die Sauna gegangen...“

„Ich weiß, das kann diese Freizeit nicht toppen. Auch nicht Swenja...“

„Swenja?“

„Ja, die hat dich doch vorhin so nett angelächelt...“

„Die Frau kann machen was sie will“, redete ich, „ich werde nie mit ihr warm!“

„Wir müssen das beste d´raus machen, ich meine aus dem Wochenende.“

Ich nickte. „Ja, klar, auch ohne Silvia, auch ohne Sauna...“

Dieter beteurte noch einmal sein Mitleid.

„Weißt du“, sagte ich nach einer Zeit, „ich habe Angst, so wie du zu werden. Weißt du, früher habe ich den Frauen nie auf die Brüste oder auf den Hintern geschaut. Aber ich ertappe mich in letzter Zeit häufiger dabei!“

„Und?“

„Ja, als Swenja so vor mir stand. Weißt du, sie ist zwar eine blöde Pädagogen-Schnäpfe, aber geile Titten hat sie! Die würd´ ich gern mal anfassen...“

Dieter machte Anzeichen, dass ich mich mal umdrehen sollte.

„Mutter?“

Er schüttelte den Kopf.

„Schön, mein lieber Jan, dass du wenigstens etwas an mir sympathisch findest!“ Ich sah mich um und sah in ein breites Lächeln. Mein Blut staute sich im Kopf. Eine unerträgliche Stille trat ein. „Ich“, stammelte ich, „ich... das war nicht so... ich meine, was soll ich tun?“

Swenja grinste mich an und ging weiter.

„Schön, dann wären die Fronten zwischen dir und Svenja nun eindeutig geklärt!“ Dieter konnte sich das Lachen nicht verkneifen. „Immerhin weiß sie jetzt, was du von ihr denkst und was du von ihr willst...“

„Hallo!“ kam es von der Seite. Carmen hatte mich begrüßt und angelächelt.

Ich dachte an Silvia.

Nach dem Essen war ich wahrscheinlich der erste, der den Saal verließ. Nur nicht Swenja über dem Weg laufen. Ich war bei ihr unten durch, und sie wird sicherlich denken, dass ich nur schlecht von Frauen denke, dass ich nichts anderes im Kopf habe als Titten. Es war mir so unangenehm, und ich habe mich noch nie so elendig gefühlt.

Gegen halb acht beschloss ich mit Dieter noch an die frische Luft zu gehen. Auf dem Flur stand Swnja und redete mit meiner Mutter. Für mich war klar, worüber die sich unterhielten.

„Die hat das meiner Mutter aufgetischt“, redete ich.

„Ach!“ meinte Dieter. „Das wäre aber wirklich arm. Das hat die schon längst vergessen.“

„Das hat die nicht vergessen!“

Es war nasskalt an diesem Abend und kurz nach acht kamen wir schon zurück. Wir beschlossen dann noch schwimmen zu gehen. Das Hotel hatte im Keller ein kleines Hallenbad mit Sauna. Auf dem Weg nach unten, begegnete uns vor dem Aufzug meine Mutter.

„Na, mein Junge!“ sprach sie. „Wo wollt ihr denn noch hin?“

„Schwimmen!“ antwortete Dieter.

„Was wollte denn Frau Lorenz von dir?“ wollte ich wissen. Ich meinte Swenja.

„Ach, wegen des Vorfalls beim Abendessen.“

Mein Herz rutschte tiefer.

„Sie meint die Sache mit Kala“, warf Dieter, der meine Befürchtungen erkannte, „Kala wollte noch etwas essen, doch ihre Mutter fand es unhöflich, noch einmal zum Buffet zu gehen, wenn doch alle schon fertig waren.“

„Und was hat Swenja damit zu tun?“

„Sie hat sich tierisch über das Verhalten von Frau Dorfkirchner aufgeregt. Ihre Tochter sei doch alt genug zu entscheiden, ob sie noch Hunger hat oder nicht.“

Meine Mutter sah es genau so, obwohl sie mit Frau Dorfkirchner eigentlich ein gutes Verhältnis hat. Sie ging dann weiter. Sie wolle noch mit Vater telefonieren, dann ein wenig fernsehen und früh ins Bett.

Im Aufzug erzählte Dieter dann, Swenja habe zu ihr, also zu Kalas Mutter, gesagt, manchmal würde sie sich doch fragen, wer hier behindert ist.

„Was?“

„Ja, und dann ist Frau Dorfkirchner zu Frau Seiler und hat sich beschwert. Gut, es war nicht gerade diplomatisch von Swenja, aber wie sie zunächst von Dorfkirchner angepflaumt wurde...“

„Da war ja richtig was los.“

„Wärst du mal noch bis zum Schluss geblieben. Ich sage dir, die Swenja ist gar nicht so ohne... Sie hat ja auch – wie du meinst – geile Titten.“

Im Keller war das Bad gleich neben dem Aufzug. Durch eine Glastür konnte man das Becken bereits erkennen, rechts waren direkt die kleinen Sammelumkleiden je für Männer und Frauen. Ich hatte ziemlich schnell meine Badehose an und ging schon mal vor.

Da kam mir auch schon Swenja entgegen, mit Thomas, den sie vor sich her schob. Wir sahen uns an, doch blickte ich schnell woanders hin. Plötzlich – sie war schon fast durch die Glastür – drehte sie sich um, fasste mich an meinen Hintern und sagte „Weißt du, Jan. Du bist mir zwar überhaupt nicht sympathisch, aber du hast einen knackigen Arsch!“ Und weg war sie.

Völlig verdattert kehrt ich zur Umkleide zurück, um zu sehen, ob Dieter das mitbekommen hatte; laut genug war sie ja. Ich brauchte gar nicht zu fragen, Dieter hang nur noch auf der Bank, seine Badehose saß knapp über dem Knie, er konnte sich kaum halten vor lachen. „Ich finde das jetzt nicht komisch. Was fällt der Kuh eigentlich ein?“

„Wenn du mich fragst. Also, ich sehe das genau anders herum. Du bist mir sympathisch, aber... Wo hast du einen knackigen Arsch?“

So richtig wohl habe ich mich an diesem Abend nicht mehr gefühlt. Als Dieter und ich nach dem Schwimmen noch einen Abstecher zur Bar machten, und als ich dort auch Swenja sah, verabschiedete ich mich und ging auf mein Zimmer. Ich überlegte mir an diesem Abend noch, wie man am besten nach Hause kommen könnte, doch bis zu dieser gottverdammten Gegend ging kein Bus. Ja, ich wäre gefahren, ich hätte Silvia angerufen, dass ich sie doch noch am Samstag erwartete, und ich wäre am nächsten Morgen früh gefahren. Nur weg! Und mich graute es vor dem nächsten Morgen.

Es war noch dunkel, als ich aus meinem Zimmer kam. Der Flur war menschenleer, und ich wollte einfach nur raus. Ich steuerte den Fahrstuhl an, dessen Tür gerade auf stand. Ich ging hinein und drückte auf „E“, der Tür schloss sich, aber danach tat sich nichts. Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Tür wieder, davor stand Swenja. „Hallo“, sagte sie und trat hinein. Die Tür schloss sich erneut und der Fahrstuhl setzte sich in Bewegung.

„Was willst du?“ fragte ich.

Sie packte ein Eis aus und begann es zu essen. „Nun, nervös?“

„Nee.“

Ich sah, wie sie den Notschalter betätigte, und der Aufzug stoppte. „Jetzt...?“

„Wieso machst du das?“

„Jetzt sind wir unter uns“, redete sie, „und ich sehe, wie deine Augen auf meine Brüste schauen.“

„Du täuscht dich. Und jetzt will ich weiter!“

Sie leckte genüsslich ihr Eis. - „Komm, küss mich!“

„Das ist ein Witz, oder?“

„Du traust dich nicht. Nur ein kleiner Sprücheklopfer!“

Ich versuchte den Notschalter zu betätigen. Im gleichen Augenblick trat sie mir vor ´s Schienbein. Mir wurde schwindelig und ich glitt zu Boden. Ich merkt, wie sich der Fahrstuhl wieder in Bewegung setzte. Swenja starrte mich von oben herab und lachte. Dann schob sich die Aufzugtür auf, Silvia betrat den Fahrstuhl.

„Ich sehe“, sagte sie zu Swenja, „du hast ihn schon erledigt. Wenn er wüsste, wie sehr ich ihn geliebt habe...“

Ich sah Silvia überrascht an. „Du hast nie etwas gesagt...“

„Er hat nie etwas gemerkt“, tuschelte sie zu Swenja.

Die Tür schloss sich. Ich spürte, wie ich kaum Luft bekam. Das Licht flackerte. Der Boden bewegte sich. Abwärts. Alles verschwamm. Stille. Von weitem hörte ich eine Melodie eines Handys. Es wurde lauter. Ich öffnete die Augen, Sonnenlicht strahlte ins Zimmer. Auf dem Flur fiel eine Tür ins Schloss. Ich war nass geschwitzt. Ich tastete zu meinem Handy und schaltete den Weckalarm aus.

Ich setzte mich hin, leicht drehte sich noch alles. Ich hangelte mich an der Wand entlang ins Bad. „Oh Gott“, redete ich mit mir. Langsam kam wieder Leben. Ich stellte mich unter die Dusche.

Ich dachte an Silvia. Doch ich war immer noch im Sauerland. Ich beschloss, Dieter zunächst einmal nichts von meinem Traum zu erzählen, er war zu kurios, um Schlüsse daraus zu ziehen, und das würde Dieter tun. Eine im Aufzug eisleckende Swenja, die mir einen Fußtritt verpasst, eine Silvia, die urplötzlich auftaucht, um mir zu sagen, dass sie mich geliebt hat. Eher war es andersherum und das nicht einmal richtig, ich habe sie gemocht, war vielleicht auch verliebt in sie, aber mehr auch nicht. Und Swenja? Warum sollte sie mich treten, nur weil sie zufällig mitbekommen hat, was ich über sie geredet hatte. Die Retourkutsche kam bereits gestern Abend von ihr. Aber warum in aller Welt träume ich von Swenja? Und das würde mich Dieter auch fragen. Und darauf will und kann ich wirklich nicht antworten.

Nachdem ich geduscht hatte, ich langsam zu mir gekommen war, stand ich am Fenster und schaute aus dem 4. Stock auf die Parkanlage des Hotels. In der Nacht hatte es geschneit, und die Landschaft präsentierte sich in einem wunderschönen Weis. Von weitem sah ich eine junge Frau aus dem Tal hinauf zum Hotel kommen. Auch sie schien die wunderbare weißen Pracht zu genießen. Bald erkannte ich, dass es Swenja war, die offensichtlich von einem Morgenspaziergang zurück kam. Als sie ziemlich nah war, schaute sie hinauf auf das Hotel. Ob sie mich wohl sehen würde. Ich merkte jetzt, dass ich noch nackt war, und dass es mir unangenehm sein würde, wenn sie mich mit freien Oberkörper am Fenster sehen würde. Doch das Hotel hatte viele Fenster, warum sollte sie ausgerechnet in mein Fenster schauen? Selbst wenn sie mein Fenster erahnte, wäre es doch unwahrscheinlich, mich dahinter zu sehen. Als sie dann ziemlich nah war, verließ ich das Fenster und zog mich an.

„Na, gut geschlafen?“ kam es von Dieter als ich ihn unten am Aufzug in Empfang nahm.

„Morgen. Noch lange gemacht gestern?“

„Ich nicht“, erwiderte er. „Bin kurze Zeit nach dir gegangen. Du hast also nichts verpasst. Carmen war nicht da und Swenja ist noch eher als ich zur Bett gegangen.“

Auch wenn ich versuchte, Swenja aus dem Weg zu gehen, war es doch schwierig. Und wenn wir uns in die Augen sahen, zufällig, dann lächelte sie. Dieter meinte, ihr Lächeln sei echt, nicht ironisch, und sie würde auch nicht ständig an meinen verbalen Ausrutscher denken. Aber dennoch mochte ich sie nicht, und ich hatte ständig etwas auszusetzen an ihrer Art, mit behinderten Menschen umzugehen. Manchmal hatte ich das Gefühl, Dieter habe sich in Swenja verliebt, so oft wie er sie in Schutz nahm. Ja, er kannte sie ja länger als ich. Darauf angesprochen widersprach er natürlich meiner Vermutung.

Swenja bat mich, bei unserem Ausflug ins Dorf Carmen zu schieben, da sie sich um Kala kümmern wollte.

„Ich weiß zwar nicht was es ist“, sagte Carmen plötzlich. „Aber irgendetwas ist zwischen euch...“

„Zwischen wem?“

„Du und Swenja!“ erwiderte sie zu meiner Befürchtung.

„Was soll da sein?“ fragte ich. „Ich mag sie nicht besonders.“

„Ich habe das mitgekriegt“, entgegnete die Hobbypsychologin. „Aber sie mag dich!“

Ich lachte. „Weißt du, das glaube ich nicht. - Und – wenn wir schon einmal dabei sind – wen magst du?“

„Du findest mich toll, nicht wahr?“

Carmen, und das hatte mir Dieter schon bestätigt, war eine sehr scharfsinnige Frau, die ein Gespür für Zwischenmenschliches hatte.

„Ja, warum nicht? Du bist eine attraktive Frau.“

Sie sah mich an. „Ich?“

Das Gespräch endete hier, weil Dieter uns eingeholt hatte. Ich war eigentlich gar nicht so unglücklich darüber. Wollte ich mich ihr gegenüber öffnen? Sie war nett, aber sie wohnte im Wohnheim und ich hatte mein eigenes Leben. In diesem Augenblick wurde mir bewusst – und es war wie ein Stich in Herz -, dass Silvia jetzt bei mir auftauchen wollte, um später mit mir in die Sauna zu gehen. Es wurde wieder Zeit, mit ihr zu reden, einfach so, über das, was sie so machte, was ich so machte. Und die Sauna ist dafür ein geeigneter Platz, da redet es sich leichter. Aber ich war ja im Sauerland...

Abends sollte eine Nachtwanderung stattfinden, und das gegen 20.00 Uhr, Nachtwanderung nach dem Motto „Hauptsache dunkel“. Swenja sagte beim Mittagessen: „Man sollte Abendwanderung sagen.“ Man sei ja hier nicht unter Idioten, die nicht wüssten, was eine Nachtwanderung sei.

„Die ist klasse. Die ist mutig!“ meinte Dieter. Natürlich meinte er das.

Wieder wurde Swenja heimlich zu Heimleitung zittiert.

„Sie hat ja recht“, sagte ich. „Eine Nachtwanderung beginnt um 23 Uhr und nicht schon um 8. Aber ich wäre an ihrer Stelle vorsichtiger.“

„Sie ist dir doch egal.“ Dieter sah mich an. „Deine blöde Pädagogen-Schnäpfe!“

Eigentlich ist sie mir egal. Aber nicht ganz. Denn ich hatte es nicht vergessen, das, was mir Carmen nebenbei bemerkte. Swenja würde mich mögen. Sie hatte mir auch nie etwas getan, bis auf die Retourkutsche am gestrigen Abend.

Später bemerkte Swenja beim Spielenachmittag zu mir: „Ich glaube ich mach ein eigenes Wohnheim auf.“

„Es reicht, den Förderverein zu erziehen!“

Sie schaute mich an und zum ersten Mal sah ich ein Leuchten in ihren blauen Augen. „Würdest du einziehen?“

Sie wurde von Kala gerufen und verschwand.

Carmen, die neben mir saß, lächelte und sagte: „Ich wette, die mag dich!“

„Ja, und?“

„Swenja ist leicht zu begeistern“, wusste Carmen zu erzählen, „und irgendetwas an dir hat sie begeistert.“

Langsam wurde mir Carmen unheimlich, fast lästig. Was wusste sie schon von mir? Na ja, vielleicht liegt es auch an ihre geistigen Behinderung, dass sie krampfhaft nach Gemeinsamkeiten sucht, die gar nicht vorhanden sind. Später erfuhr ich zu meiner Beruhigung, dass Carmen Horoskope liest.

Abends sollte es eigentlich dann doch schon um 19 Uhr losgehen, damit man später noch den letzten Abend unten am Kamin zusammen sitzen konnte. Doch auch daraus wurde nur ein Gang vor die Tür, denn es hatte angefangen heftig zu schneien und es schien unmöglich, mit Rollstuhlfahrern hinunter ins Tal zu gehen und wieder hinauf. Einige begannen mit Schneebällen zu werfen, und schnell wurde daraus eine spaßige Schneeballschlacht.

Später waren dann nur noch Kala mit ihrer Mutter, Carmen, Dieter, Swenja und ich draußen. Zwischen Dieter, Swenja und mir begann eine heftige Schlacht. Bis es dem Dieter zu bunt wurde und er abzog. Swenja warf sich vergnügt in den Schnee, während auch Kala von ihrer Mutter reingeschoben wurde. Als ich sah, dass die Mutter von Carmen in der Tür stand, warf sich Swenja auf mich und zog mich in den Schnee. Ich war irritiert und wusste nicht, ob ich mich wehren oder da mitmachen sollte.

„Kommst du gleich noch schwimmen?“ fragte sie.

„Wie, willst du noch schwimmen gehen? Wird das Bad nicht gleich abgeschlossen?“

„Ich werde gleich noch mit dem Personal sprechen. Ich denke, dass ich den Schlüssel bekomme.“

„Lust hätte ich schon!“ sagte ich.

Sie lächelte und meinte: „Dann gibt es nichts zu überlegen.“

„Ich hol noch eben schnell mein Badezeug.“

„Mach das. Ich werd dann mal vorgehen.“ Sie zog dann ab und ich ging zusammen mit Carmen und ihrer Mutter ins Haus.“

Dieter hatte geduscht und kam mir auf dem Flur entgegen. Er wollte dann auch nicht mehr schwimmen gehen. Ich überlegte dann auch, ob ich nicht kurz unter die Dusche springen sollte, um dann mit den anderen an der Bar zu sitzen. Nun hatte ich aber Swenja versprochen zu kommen, so dass ich dann doch zum Schwimmen ging.

Es war gegen 10 Uhr und das Bad war eigentlich schon zu, als ich dort im Keller eintraf. Ich zog meine Badehose an und kam zum Becken, das leer war. Ich sah, dass die Sauna an war. Ich stieg ins Becken und zog meine Runden.

Kurze Zeit später hörte ich die Dusche an der Sauna. „Jan?“

„Ja.“ erwiderte ich.

Kurze Zeit später kam sie aus dem kleinen Saunabereich. Sie war nackt. Sie sprang so Kopf über ins Becken und tauchte dann neben mir auf.

„Hallo!“

„Hallo“, entgegnete ich.

„Da bist du ja endlich.“

Swenja schwamm quer durch das Becken. Gut, wir waren allein, warum sollte sie einen Badeanzug tragen.

„Und“, fragte sie, „kommste gleich mit in die Sauna?“

Sie schwamm wieder weg. Vom anderen Beckenrand rief sie: „Und?“

„Ich bin ein wenig verwirrt.“

„Du kennst mich nicht, Jan. So bin ich, ich bin so“, rief sie. „Ich will einfach nur Spaß haben. Und diesen Spaß...“ Sie tauchte ab und tauchte neben mir wieder auf. „...will ich mit dir haben.“

Ich blickte auf ihre Brüste, was sie natürlich bemerkte.

„Und?“ fragte sie und legte kurz ihren Arm um mich. Als sie merkte, dass es mir unangenehm war, zog sie ihre Hand zurück. „Entschuldigung. Ich dachte...“

„Schon in Ordnung!“

„Du wolltest erst gar nicht hierher“, sagte sie auf einmal. „Ich glaube, du hast ein falsches Bild von mir. Ich habe bei dir schon am Bus verloren.“

Ich sah sie verblüfft an.

„Ich hätte dich anders behandeln sollen.“

„Was willst du von mir?“ fragte ich.

Sie stieg aus dem Wasser und meinte: „Ich geh jetzt in die Sauna. Ich würde mich freuen, wenn du nach kommst.“

Ich verließ ebenfalls das Becken, zog meine Badehose aus, nahm mir ein Handtuch und ging in die Sauna. Es war eine sehr kleine Sauna, die mit zwei Personen schon fast voll war. Swenja lag auf der obersten Bank auf dem Rücken. Ich setzte mich auf die unteren Bank.

„Ich denke“, redete sie, „ich denke, die nächste Fahrt machen wir ohne Eltern.“

Ich musste so los lachen.

„Deine Mutter ist ja richtig nett, aber wenn ich so andere Mütter sehe, wie die mit ihren Schützlingen umgehen; sie fungieren eher als Spaßbremse.“

„Ich glaube, ich muss meine Meinung über Dich korrigieren...“

„So schnell?“ Sie setzte sich auf und begann, meinen Nacken zu massieren. Es war angenehm und ich sagte nichts dazu. „Ich glaube, dass man solche Fahrten nur ohne Eltern durchführen sollte. Das wäre für beide Seiten angenehmer. Ich habe keine Lust, nicht nur den so genannten Behinderten zu betreuen, sondern auch noch seine Mutter.“

Was war los? Ich saß mit Swenja in der Sauna, sie massiert mir den Nacken und redet so, wie ich denke. Sie schien genau die Ansichten zu haben, die ich von einer Behindertenpädagogin – wenn ich das so sagen darf – erwarte.

Nach der Sauna sprangen wir wieder in den Pool.

„Hast du noch Lust, mit mir aufs Zimmer zu kommen?“ fragte Swenja, als sie mich von hinten umarmte.

„Und dann?“

„Ich dachte, wir reden eine Kleinigkeit und fallen dann übereinander her!“

Ich löste mich aus der Umarmung und schwamm zum gegenüberliegenden Beckenrand. Es war alles so einfach, so klar, so unkompliziert. Wir mochten uns. Und sie wollte offensichtlich das was ich wollte. Nun war sie da, die Gelegenheit zum Erstenmal.

„Du hast Angst“, stellte sie fest.

„Ich komme gern mit dir aufs Zimmer.“ Ich war erregt. „Lasst uns nur reden.“

Sie schwamm zu mir, sah an mir herunter und meinte: „Natürlich...“ Dann kletterte sie aus dem Wasser und trocknete sich ab. Sie nahm ihre Kleider und stopfte sie in ihren Rucksack, mit dem sie zum Schwimmen gekommen war.

„Willst du dich gar nicht anziehen?“ erkundigte ich mich.

Sie kam zum Beckenrand und schüttelte den Kopf. „Möchtest du, dass ich mich anziehe?“

Ich meinte, nein, aber so könne sie wohl kaum zurück aufs Zimmer. Ich kam aus dem Wasser und trocknete mich ebenfalls an, während sie die Sauna ausschaltete und das Becken automatisch abdecken ließ.

„Ich dachte“, erklärte sie, „der Fahrstuhl ist gleich um die Ecke und mein Zimmer im dritten Stock liegt direkt gegenüber dem Fahrstuhl.“

„Du willst doch nicht etwa...“

„Oh doch, warum nicht. Da ist keiner mehr auf den Fluren. Warum soll ich mich anziehen, wenn ich mich oben wieder ausziehe? Du traust dich nicht, oder?“

Ich hasse solche Situationen. Natürlich fand ich die ganze Aktion, die sie nun abzog, albern und scheiße. Doch es schien so, dass sie es durchziehen wollte, dass sie tatsächlich nackt mit dem Aufzug zu ihrem Zimmer fahren wollte. Und ich? Einerseits erregte mich der Gedanke, andererseits hatte ich zu viel Angst davor, entdeckt zu werden. Das Entdecktwerden finde ich noch nicht einmal so schlimm, schlimm ist, dass diese Geschichte ihre Runde macht. Es wird Fragen geben. Es wird einfach peinlich. Doch wollte ich nicht feige wirken, und wie gesagt, es war eine verrückte Idee, und verrückte Ideen mochte ich. Ich hatte kein gutes Gefühl, als ich meine Kleider in meine Tasche stopfte.

Sie lachte und ging schon einmal auf den Flur,um den Fahrstuhl zu holen. Ich folgte ihr. Der Fahrstuhl kam und wir gingen hinein. Ich war zunächst einmal erfreut, dass uns bisher noch keiner gesehen hatte. Während der Fahrt sahen wir uns an. Sie lächelte, sah immer wieder an mich herunter, als wenn sie mich das erste Mal sah. Der Aufzug stoppte im dritten Stock, und noch bevor die Tür aufging, hörten wir Stimmen vor der Fahrstuhltür.

„Was jetzt?“ fragte ich erschrocken.

Sie drückte mich nach hinten an die Wand und stürzte sich auf mich, während sie ein Handtuch um ihre Hüften hielt; dann küsste sie mich. Ich hörte, wie sich die Tür langsam aufschob, das Gespräch zweier Frauen verstummte. Stille folgte.

„Ich glaube, wir nehmen die Treppe“, hörte ich die Mutter von Kala sagen.

Dann wieder Ruhe. Die Tür schloss sich wieder. Swenja hörte nicht auf, mich zu küssen. Meine Hände, die wie erstarrt zu Boden hangen,wanderten über ihren Po zum Rücken. Ich merkte, wie ich erregt wurde. Dann ließ sie mich los, eine ungewohnte Kälte machte sich spürbar. Sie drückte den Keller-Knopf, so dass wir wieder nach unten fuhren.

„Das war knapp“, sagte sie und lächelte. Sie hatte ihr Handtuch fest um die Hüfte gebunden.

„Es war schön“, sagte ich. „Ich habe noch nie so etwas schönes erlebt.“

Swenja drückte die 3.-Etage ohne etwas zu sagen. Ich stand noch still in der Ecke. Im Keller öffnete sich die Tür und der Chlorgeruch war wieder da. Dann schloss die Tür wieder und der Aufzug für erneut nach oder.

„Das war dein erster Kuss?“ Swenja sah mich ungläubig an. - „Worauf lasse ich mich da ein?“ hörte ich sie leise reden.

„Ich kann auch auf mein Zimmer zurück gehen.“

„So nackt, wie du bist?“

Erst jetzt bemerkte ich wieder, dass ich nackt war.

Der Aufzug stoppte, 3. Stock. Swenja schaute den Flur entlang, keiner zu sehen. Ich warf schnell ein Handtuch um meine Hüfte und folgte ihr. Sie schloss ihr Zimmer auf und wir gingen hinein.

„Mach es dir gemütlich!“ sagte sie und ging ins Bad.

Ich setzte mich auf das Bett. Sie las gerade „Erdsee“, Phantasieroman.

Als Swenja zurück kam, hatte sie das Handtuch nicht mehr um. „Es ist ein wenig kalt hier, oder? Wir können uns ja ins Bett legen und zudecken.“ Sie schloss die Vorhänge.

Ich saß regungslos auf dem Bett, und mir war kalt. Sie goss uns Wasser ein. Wir tranken. Dann kroch sie an mir vorbei und legte sich hin. „Und?“

Ich schwieg.

Sie setzte sich wieder auf und umarmte mich von hinten. „Dir ist kalt. Komm unter meiner Decke.“

Ich lachte kurz. „Weißt du, dass ich dieses Lied als Kind immer falsch interpretiert habe? Ich habe mit 'Decke' die 'Zimmerdecke' gemeint.“

Sie lachte darüber auch. Ihre Hände gingen über meinem Bauch. Sie fasste meine rechte Hand und führte sie zu ihren Brüsten. Ich streichelte sie. Langsam zog sie mich zu ihr, und wir umarmten uns.

„Was wird das zwischen uns?“

„Frag nicht“, erwiderte sie und küsste mich. „Lass uns einfach Spaß haben. Lass Dich einfach gehen.“ Sie streichelte mich leicht über mein Glied und ich spürte, wie es sich langsam aufrichtete. Ich ging mit meiner Hand von ihren Brüsten hinunter zwischen ihren Schenkeln. Dort verweilte ich. Ich genoss den Augenblick, obwohl er mir so fremd, so unheimlich war. Plötzlich hielt sie ein Kondom in der Hand. Es war sehr schön, mit ihr zu schlafen. Es passierte einfach, und keiner von uns dachte an Morgen.

Früh morgens wachte ich neben ihr auf. Ich stand auf und zog mich an. Swenja machte die Augen auf und sah mich an. „Wie spät ist es?“

„Ich weiß nicht.“

„Halb acht“, stellte sie erschrocken fest. „Morgen, Jan.“

„Ich gehe jetzt lieber“, sagte ich.

Sie stand auf und gab mir einen Kuss, dann verschwand sie ins Bad. Ich ging hinaus auf den Flur, um dann mein Zimmer aufzusuchen. Endlich allein, endlich Zeit, nachzudenken. Konnte ich all das glauben, all das verstehen und konnte ich daran festhalten? Auf meinem Zimmer angekommen, überkam mir ein Gefühl der plötzlichen Leer, eine Einsamkeit, die ich so noch nie erlebt habe. Ich war verliebt, ja ich hatte mich verliebt, es war kein Spaß mehr, es war dieses Sehnen, dieses Vermissen.

Ich konnte nicht glauben, dass beim Frühstück alles so war wie immer. Kalas Mutter schien mich nicht erkannt zu haben, gestern Abend im Aufzug. Swenja saß am Nachbartisch, und bis auf einen flüchtigen Blick, beachtete sie mich nicht.

„Wie war euer Schwimmen?“ Dieter konnte es kaum erwarten.

Ich versuchte seine Frage zu ignorieren.

„Ward ihr allein? Ward ihr auch saunieren?“ Er grinste.

Ich bemerkte seine Blicke, ich sah, wie er nachdachte. Und Dieter ist einer derjenigen, die Gedanken lesen konnten, denen ich nichts vormachen konnte.

Plötzlich meinte er: „Du, ich weiß nicht, was zwischen euch gestern passiert ist, aber ich sehe eine gewisse Verliebtheit in deinen Augen.“

Eigentlich müsste ich der glücklichste Mensch auf Erden sein. Doch was ist schon passiert? Vielleicht wäre alles anders, wenn wir nach der Sauna gemeinsam spazieren gegangen wären. Doch es war dennoch schön, aber ich vermisste jetzt diese Zusammengehörigkeit. „Ja.“

„Ja?“ Dieter sah mich fragend an.

„Ja, wir waren allein, wir waren in der Sauna, ich bin verliebt!“ Als ich es ausgesprochen hatte, tat es mir Leid. „Aber behalte es für dich.“

Er schüttelte den Kopf. Ausgerechnet in die Frau, die ich doch so unsympathisch fände, hätte ich mich verliebt.

„Es war eine ...“ Ich hielt inne.

„Nein“, erwiderte er, „das habt ihr nicht getan.“

Ich nickte. Dann stand ich auf und ging zu Swenja. „Hallo, Swenja.“

Sie blickte zu mir auf und lächelte. „Jan...“

„Ich muss mit dir reden“, sagte ich.

„Gehe schon mal raus. Ich komme zum Parkplatz.“

Ich ging.

Nach einer Weile kam sie dann auch und wir gingen ein Stück durch den Wald.

„Ist doch irre, was alles passiert ist“, begann sie.

Ich stimmte ihr zu. - „Du hast mich sehr glücklich gemacht“, redete ich nach einer Weile, „die Küsse, die Umarmungen, und alles... Ich habe so etwas noch nie spüren dürfen...“

„Ja, es war sehr schön.“

„Sind wir jetzt zusammen?“ fragte ich.

Swenja stoppte. Sie sah mich an. Dann ging sie weiter.

„Was ist?“

Sie schien mit sich selbst zu kämpfen. Sie war ganz anders, nachdenklich. Dann drehte sie sich um und sagte: „Es war ein schöner Abend, eine schöne Nacht, wir hatten viel Spaß, und das war es doch, was wir wollten.“

„Ich weiß“, erwiderte ich, „ja, ich weiß. Aber ich habe mich in dich verliebt.“

Sie sah zu Boden, spielte Fußball mit einem Kiesel. Sie schoss dann einen Stein zu mir, sah auf und lächelte mich an. Ich lächelte zurück, schoss den Stein zurück. Wir spielten den Steine eine ganze Zeit lang hin und her.

„Du“, sagte sie, „ich weiß nicht, ob ich genau soviel für Dich empfinde wie du möglicherweise momentan für mich.“

„Ich verstehe Dich“, entgegnete ich, Tränen liefen über meine Wangen. „Ich bin dir überhaupt nicht böse. Wir hatten unseren Spaß. Für mich war alles neu, ist alles neu; du bist es, mit der ich das erleben durfte. Es ist nur diese Angst - verstehst du? -, diese Angst vor der Leere, die Angst, dass das ein einmaliges Erlebnis für mich war.“ Ich habe bisher zu Boden geschaut, sah sie dann an. „Du kannst mir ruhig sagen, dass du nichts für mich empfindest.“

Swenja hielt mich an den Oberarmen. „Nichts? Ich mag dich. Ich mag deine Nähe, deine Gesellschaft, Jan. Meinst du wirklich, ich hätte dich mit aufs Zimmer genommen, wenn du mir völlig egal wärst. Ich wollte dich auch nicht verletzen, dich nicht ausnutzen – wenn du das denkst -...“

„Ich weiß, Swenja.“

Sie musste zurück ins Haus, helfen Koffer packen, den Bus beladen. Gegen Mittag sollte es dann wieder gen Heimat gehen. Ich freute auf Daheim, auf Petra, die ich anrufen wollte, der ich alles erzählen konnte. Mit wem sollte ich denn hier reden? Und es schien, dass es Swenja nicht so ganz recht war.

Pünktlich um 1 nach dem Mittagessen fuhren wir ab. Swenja hatte es von der Kirche, wo unser Bus alle absetzte, nicht weit bis nach Haus. Sie kam zu mir und fragte, ob ich sie noch nach Hause bringen wollte. Vielleicht sollte man doch einmal miteinander reden.

Wir schwiegen ziemlich lange. Dann redeten wir über das Wochenende, über die anderen, weniger über uns.

Sie bot mir einen Tee an, bei ihr daheim.

„Es ist einfach nur krass“, redete ich plötzlich. „Wir sind heute Nacht übereinander hergefallen und reden jetzt über das Wetter.“

Sie setzte sich neben mir. „Das Wetter kann sehr aufregend sein...“

„Du bist es!“

„Was denkst du von mir?“ fragte sie nach einer Weile.

„Was soll ich von dir denken, Swenja? Es ist alles so anders, so komisch.“

Swenja ging darauf nicht ein. Wir redeten über Personen, über Behinderungen, über ihren Beruf.

Ob sie einen Freund habe, fragte ich.

Es war eine Frage die sie erwartet hatte, schon viel eher. Sie verneinte. Sie möchte noch ihr Leben leben, sie liebe es, allein zu sein.

„Nun bin ich hier“, stellte ich fest.

„Doch ich kann dich jederzeit heraus schmeißen. Versuch das mal mir einem festen Partner. - Soll ich uns etwas kochen?“

„Wenn ich noch bleiben darf.“

„Sicher. Fühl dich hier wie zuhause.“

Doch noch bevor sie die Pfanne auf den Herd stellen wollte, sagte ich: „Du, ich gehe...“

Sie sah mich an und wusste genau, was los war. Es war mir zu vertraut geworden, zu intim, zu selbstverständlich. Ich war verliebt. Ich stand auf und wollte zur Tür. Swenja folgte.

„Du lässt mich allein“, sagte sie.

Ich zog die Haustür auf.

„Nein“, meinte sie. „Du kannst nicht gehen...“

„Doch, ich muss gehen. - Es tut weh...“

Sie sah zu Boden. Dann sagte sie: „Und wenn da doch... ich meine, wenn da doch was wäre zwischen uns...?“ Sie nahm meine Hand.

„Ach, Swenja...“ Ich zog meine Hand zurück. „Lass es gut sein. Lass es einfach so sein, wie es ist, wie es war.“

Sie schloss die Tür und umarmte mich. Dann zog sie ihre Bluse über den Kopf und ihre kleinen Brüste kamen wieder zum Vorschein.

Ich ging.

© Text: Josef Schwarzkopf (Homepage: www.behinderte-leidenschaft.de)